Die Geschichte des Paralegal-Berufs und der eidgenössischen Berufsprüfung in der Schweiz
Der Paralegal-Beruf hat in der Schweiz eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen. Während das Berufsbild in den USA bereits seit den 1960er-Jahren etabliert ist, setzte die Professionalisierung hierzulande deutlich später ein. Viola Kellenberger, Paralegal bei Wenger Vieli AG und langjährige Kennerin der Branche, zeichnet in diesem Artikel nach, wie aus ersten Weiterbildungsangeboten ein anerkanntes Berufsbild mit eidgenössischem Fachausweis wurde – und warum dieser Schritt für die Rechtspraxis von heute entscheidend ist.
Als Absolventin der CAS und DAS Paralegal an der ZHAW in Winterthur hatte ich die Gelegenheit, die Entwicklung unseres Berufsstandes in den vergangenen 15 Jahren aus nächster Nähe mitzuverfolgen.
Der Beruf des Paralegals hat seinen Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo dieses Berufsbild bereits in den 1960er-Jahren als Reaktion auf den zunehmenden Bedarf an qualifizierter juristischer Unterstützung entstand. Seither haben sich Paralegals zu spezialisierten Fachpersonen entwickelt, die Juristinnen und Juristen in vielfältigen Aufgabenbereichen wirkungsvoll unterstützen und entlasten – etwa bei der juristischen Recherche, der Erstellung rechtlicher Dokumente, der Fallbearbeitung, im Prozessmanagement oder an der Schnittstelle zwischen Recht und Organisation.
In der Schweiz etablierte sich das Berufsbild des Paralegals erst zu einem späteren Zeitpunkt. Seit den frühen 2000er-Jahren haben sich Paralegal-Funktionen zunehmend in Anwaltskanzleien, Rechtsabteilungen von Unternehmen sowie in der öffentlichen Verwaltung durchgesetzt. Parallel dazu entstanden erste strukturierte Weiterbildungsangebote. Eine zentrale Rolle nahm dabei die ZHAW School of Management and Law ein, die früh spezialisierte Programme wie den CAS Paralegal und später den DAS in Paralegalism entwickelte.
Ein grundlegendes Problem bestand jedoch darin, dass die Berufsbezeichnung Paralegal in der Schweiz nicht geschützt war. Dies führte dazu, dass sich Personen unabhängig von ihrer Qualifikation als Paralegal bezeichnen konnten. Entsprechend gross war die Unsicherheit auf Seiten der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Die tatsächliche fachliche Eignung von Bewerbenden oder bereits tätigen Paralegals war häufig schwer einzuschätzen. Umgekehrt litten qualifizierte Fachpersonen darunter, dass ihre Ausbildung und Kompetenzen kaum sichtbar waren und das Berufsbild in der Öffentlichkeit nicht hinreichend bekannt war.
Bereits im Jahr 2014 entstand die Idee, eine eidgenössisch anerkannte Qualifikation mit geschütztem Titel für Paralegals zu schaffen. Ziel war es, den Beruf in der Schweiz zu professionalisieren, seine Position innerhalb der juristischen Berufswelt zu stärken und sowohl für Fachpersonen als auch für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mehr Sicherheit zu schaffen. Diese Vision markierte den Ausgangspunkt für das Projekt "Berufsprüfung Paralegal"
Im Jahr 2018 führten wir in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Anwaltsverband eine umfassende Umfrage unter Schweizer Anwaltskanzleien durch. Rund 10'000 Kanzleien wurden kontaktiert. Die Ergebnisse zeigten, dass Paralegals bereits in zahlreichen Kanzleien eingesetzt wurden und der Bedarf an qualifizierten Fachpersonen weiterhin zunimmt.
Ein Grossteil der befragten Kanzleien gab an, Paralegals insbesondere aus ökonomischen Überlegungen einzusetzen. Durch die Verbindung administrativer und organisatorischer Aufgaben mit juristischem Fachwissen unterstützen Paralegals die strukturierte Bearbeitung rechtlicher Prozesse.
Gleichzeitig zeigte die Umfrage aber auch, dass die Einsatzbereiche bisher oft uneinheitlich definiert waren und teilweise eher administrativ geprägt blieben. Vor diesem Hintergrund wurde der Wunsch nach einer klar geregelten und anerkannten Qualifikation laut. Ein eidgenössischer Fachausweis sollte Transparenz schaffen und die Kompetenzen der Paralegals sichtbar und vergleichbar machen.
Für jede eidgenössische Prüfung ist eine Trägerschaft aus der Praxis erforderlich – in der Regel ein Verband oder eine Organisation, welche die Interessen des jeweiligen Berufsstandes vertritt und sicherstellt, dass die Prüfung inhaltlich relevant und praxisbezogen ausgestaltet ist. Im Jahr 2019 ist es uns gelungen, den Schweizerischen Anwaltsverband als offizielle Trägerschaft für die Berufsprüfungen zu gewinnen – ein bedeutender Schritt zur institutionellen Verankerung des Berufsbildes Paralegal.
Im Jahr 2020 wurde die Projektgruppe „Berufsprüfung Paralegal“ gebildet. In diesem Gremium arbeiteten Absolventinnen und Absolventen des CAS und DAS Paralegal, Vertreterinnen und Vertreter des Schweizerischen Anwaltsverbandes, Repräsentanten von Ausbildungspartnern sowie erfahrene Praktikerinnen und Praktiker aus Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen eng zusammen.
Wir erarbeiteten die Kompetenzprofile, definierten Prüfungsinhalte, erstellten das Prüfungsreglement sowie die formalen Zulassungsvoraussetzungen. Dabei war es uns ein zentrales Anliegen, sicherzustellen, dass die Prüfung die berufliche Praxis möglichst realitätsgetreu widerspiegelt.
Im Frühjahr 2021 konnten wir beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) das Gesuch zur offiziellen Anerkennung der eidgenössischen Berufsprüfung Paralegal einreichen. Bereits kurz darauf erhielten wir einen ersten positiven Vorbescheid des SBFI und konnten das vollständige Dossier einreichen. Zu diesem Zeitpunkt waren sowohl die Prüfungskommission als auch die organisatorischen Strukturen weitgehend etabliert. Für uns stellte dies nach jahrelanger Vorarbeit einen historischen Meilenstein dar, der die bildungspolitische Anerkennung des Paralegal-Berufs unterstrich. Die erste Berufsprüfung Paralegal mit eidgenössischem Fachausweis wurde im dritten Quartal 2022 durchgeführt.
Der eidgenössische Fachausweis ist in der höheren Berufsbildung auf Tertiärstufe verankert und richtet sich Berufsleute mit Praxiserfahrung, die ihre fachlichen Kompetenzen gezielt nachweisen und weiterentwickeln wollen. Die Berufsprüfung stellt kein isoliertes Qualifikationsinstrument dar, sondern ist integraler Bestandteil eines modular aufgebauten Weiterbildungspfads. Personen, die heute als Paralegal tätig sind oder eine entsprechende Laufbahn anstreben, haben die Möglichkeit, sich schrittweise und berufsbegleitend weiterzubilden. Dieses System erlaubt es, berufliche Qualifikationen flexibel zu erwerben, ohne die Berufstätigkeit unterbrechen zu müssen. Gleichzeitig gewährleistet die enge Einbindung der Anwaltschaft, dass die Prüfungsinhalte praxisnah ausgestaltet sind und den aktuellen Anforderungen des Arbeitsmarkts entsprechen.
Der Fachausweis schafft für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Transparenz hinsichtlich der Qualifikationen von Paralegal-Fachpersonen, da er deren Kompetenzen nachvollziehbar und überprüfbar dokumentiert. Gleichzeitig stärkt er die berufliche Identität der Paralegals, eröffnet neue Laufbahnperspektiven und leistet einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Bindung qualifizierter Fachkräfte an Kanzleien und Rechtsabteilungen.